Spiel mir das Lied vom Tod - Sergio Leone (1968)

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Agent K
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Spiel mir das Lied vom Tod - Sergio Leone (1968)

Beitrag von Agent K » Samstag 24. Januar 2015, 13:00

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Sergio Leones erste amerikanische Produktion (Paramount), zu der man ihn aber erst überreden musste, weil er nach Abschluss seiner "Dollar-Trilogie" eigentlich keine Western mehr drehen, sondern lieber ES WAR EINMAL IN AMERIKA realisieren wollte... einen Film, mit dem SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD dann letztlich nicht nur einige dramaturgische Merkmale, sondern auch sein denkbar unglückliches Schicksal in den US-Kinos teilen sollte...

Ausgestattet mit einem (für seine Verhältnisse) großzügigen Budget konnte sich Sergio Leone erstmals auch Drehs an amerikanischen Originalschauplätzen wie Monument Valley leisten, sowie den Bau einer kompletten amerikanischen Boomtown nach historischen Vorlagen. Und auch das schauspielerische Fundament wurde durch ein erlesenes Quartett gebildet: Charles Bronson, als namenloser Fremder mit Mundharmonika "und einem Gesicht, mit dem man eine Lokomotive stoppen kann" - Jason Robards als schlitzohriger Outlaw mit Herz - Claudia Cardinale als verwitwete standhafte Hure, die nie besser aussah. Und nicht zuletzt natürlich Henry Fonda, bis dato die traditionelle Inkarnation des "Good Guy", der nun erstmalig als übler Fiesling das Publikum mit seinen blauen Augen verstören durfte...

Waren die "Spaghettiwestern" der "Dollar-Trilogie" noch eine respektlose, zynische Abkehr vom Helden- und Saubermann-Image amerikanischer Standard-Western, ist SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD mit seinen unzähligen Referenzen dann doch schon wieder eine Huldigung berühmter amerikanischer Western-Vorbilder (z.B. John Ford). Natürlich bleibt Sergio Leone seinen Wurzeln treu, extreme Close Ups und grandiose Landschaften (am besten beides gleichzeitig), eine beinahe formalistische Dramaturgie und geradezu ritualisierte Duelle... die Langsamkeit wird förmlich zelebriert. Dies alles wird in seiner Überhöhung jedoch etwas entschärft und weicht einer opernhaften Choreografie aus differenzierten Akten. Komplette Dialoge werden förmlich mit Blicken und Gesten geführt, die Handlung von SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD würde sich auch als Stummfilm problemlos erschließen. Und die verbleibenden Dialoge sind umso kerniger ("You brought two too many"). Erwähnenswert natürlich noch, dass Sergio Leone hier einem seiner Filme erstmals auch eine starke und zentrale Frauenrolle spendiert hat... die selbstredend überhaupt nicht dem etablierten Western-Klischee entspricht. Kein unschuldiges Opfer, kein selbstloses Heimchen am Herd, keine treulose verruchte Schlampe, sondern eine starke Persönlichkeit, die sich mit der Zähigkeit einer Katze für ihr Überleben auch erniedrigt, um dann wieder auf den Füßen zu landen. So mag er wohl ausgesehen haben, der damalige Pioniergeist... für mich eine der differenziertesten und überzeugendsten Frauenrollen seit Scarlett O'Hara (und daß sie dabei noch unglaublich gut aussieht hab ich ja schon erwähnt)...

Abgerundet wird das ganze natürlich durch Ennio Morricones genialen Score, der hier sowohl die Stimmung nachhaltig prägt als auch die Handlung mehr als nur ergänzt - intensiv wie in kaum einem anderen Film. Beispielhaft zelebriert in der grandiosen Bahnhofszene mit Claudia Cardinale, als die Kamera zu "Jill's Theme" in einer langen Einstellung ohne Schnitte am Kran über den Bahnhof auf die Pionierstadt Flagston schwenkt... Gänsehaut...

Vordergründig mag SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD zwar den Eindruck eines klassischen Spaghetti-Revengers vermitteln und auch dessen instinkthafte Wahrnehmung übernehmen, letztlich dominiert aber eine düster-melancholische Traurigkeit. Es ist ein Film über Veränderungen, über das Sterben, über das Ende einer Epoche... ohne Sieger. Die Bahn als Symbol für Fortschritt, Wandel und Zivilisation - das Recht des Stärkeren wird durch die Macht des Geldes ersetzt. Und diese Zivilisation frisst sich auf Schienen unaufhaltsam auch in jene entlegenen Regionen vor, in denen anachronistische Dinosaurier wie Gladiatoren ihre letzte Vendetta austragen... bevor sie endgültig aussterben...

Wer SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD bislang nur in der deutschen Synchro kennt der solle sich evtl. auch mal das Original geben, weil es da doch einige markante Unterschiede gibt - nicht zuletzt jener titelgebende deutsche Satz, der im Original gar nicht existiert. Die 2-DVD-Edition im Steelbook ist aktuell mal wieder für einen Zehner erhältlich. Hier gibt's nicht nur den O-Ton, Audiokommentare von Regisseuren und Filmhistorikern, sondern auch einige Hintergrundinformationen zu rigorosen Kürzungen bei der Erstveröffentlichung in den US-Kinos. So wurde z.B. eine besonders fiese Szene von Henry Fonda kurzerhand entsorgt, weil man den US-Kinobesuchern dessen drastischen Imagewechsel einfach nicht "zumuten" wollte. Und ironischerweise waren die europäischen Spaghetti-Western für US-Sehgewohnheiten seinerzeit zu "brutal". Und diese traurigen Erfahrungen haben sich für Sergio Leone mit seinem letzten Film ES WAR EINMAL IN AMERIKA noch einmal in dramatischer Weise wiederholt. Ein dunkles Kapitel amerikanischer Filmgeschichte...

Das Western-Genre ist zwar nicht unbedingt "mein Ding", aber SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD bleibt neben ES WAR EINMAL IN AMERIKA mein persönlicher Favorit in Sergio Leones (viel zu kurzer) filmischer Vita. Ich mag die melancholische Stimmung, die geniale Musik, die beinahe schon meditative Langsamkeit. Leones Film beansprucht die Zeit des Zuschauers, aber nicht dessen Geduld. Er langweilt nicht, sondern fasziniert. Und in dieser Faszination ist SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD auch über die Jahre kaum gealtert. In Deutschland liegt der Film mit etwa 13 Mio. Kinobesuchern zwar hinter TITANIC, aber immer noch vor gewichtigen Mega-Blockbustern wie z.B. HARRY POTTER oder HERR DER RINGE. Weltweit war SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD über Dekaden der erfolgreichste Western aller Zeiten, bis er schließlich von Costners DER MIT DEM WOLF TANZT abgelöst wurde...

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Mark_G
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Re: Spiel mir das Lied vom Tod - Sergio Leone (1968)

Beitrag von Mark_G » Samstag 24. Januar 2015, 13:32

Und der Film gehört zu dem Paket von 25 Paramount-Filmen, das die Kinos jetzt digital einsetzen können...

Vielleicht gibt es jetzt also wieder mehr Einsätze auf der großen Leinwand...
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Re: Spiel mir das Lied vom Tod - Sergio Leone (1968)

Beitrag von Invincible1958 » Sonntag 25. Januar 2015, 02:05

"Spiel mir das Lied vom Tod" ist seit ich ihn als Teenager ein paar Mal gesehen habe, mein absoluter Lieblingsfilm.
Keinen anderen Film habe ich in meinem Leben bislang häufiger gesehen, glücklicherweise bisher sogar 3 Mal davon im Kino. Die unzähligen DVD- und TV-Sichtungen kann ich nicht zählen.

Für mich ist dies der einzige Film, der als Gesamtkunstwerk so nah wie möglich an das Prädikat "perfekter Film" herankommt. Für mich stimmt hier alles und ich kann deinen Beitrag, Agent K, so unterschreiben. Es ist ein Film, für den man nicht in der richtigen Stimmung sein muss. Der Film ist so stark, dass er die richtige Stimmung erzeugt, die es braucht, um sich ganz auf ihn einzulassen. Die Melancholie, die du ansprichst, ist wahrscheinlich das, was mich auch am meisten reizt. Dieser Abgesang auf die "alten Zeiten". Man trauert dem "alten Westen" ja richtig hinterher. Eine Anspielung darauf ist ja auch "Mein Name ist Nobody", bei dem Leone ja auch seine Finger im Spiel hatte.
Agent K hat geschrieben:Vordergründig mag SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD zwar den Eindruck eines klassischen Spaghetti-Revengers vermitteln und auch dessen instinkthafte Wahrnehmung übernehmen, letztlich dominiert aber eine düster-melancholische Traurigkeit. Es ist ein Film über Veränderungen, über das Sterben, über das Ende einer Epoche... ohne Sieger. Die Bahn als Symbol für Fortschritt, Wandel und Zivilisation - das Recht des Stärkeren wird durch die Macht des Geldes ersetzt. Und diese Zivilisation frisst sich auf Schienen unaufhaltsam auch in jene entlegenen Regionen vor, in denen anachronistische Dinosaurier wie Gladiatoren ihre letzte Vendetta austragen... bevor sie endgültig aussterben...
Für mich ist der Film in erster Linie auch kein Western, sondern eine Kapitalismus-kritische Oper. Kapitalismus-kritisch, aber nicht ablehnend.
Überleben tun am Ende nur die, die sich dem Fortschritt beugen bzw. überhaupt fähig sind, ihr Leben in dieser "Zukunft" zu sehen. Jill ist so ein Charakter. Sie erkennt, was zu tun ist, um weiterhin relevant zu sein. Die Dinosaurier des Westens (Cheyenne und Co.) sterben aus - sie passen einfach nicht in die Welt des Geldes.
Der ganze Stoff, aus dem der Film ist, ist universell und vor allem zeitlos. Der amerikanische Westen als Schauplatz ist hier praktisch gewählt, weil man so eine Geschichte hier bildlich am einfachsten darstellen kann. Aber sie wäre auch in jeder anderen Zeitepoche, auch in der Gegenwart möglich. Und deshalb ist dieser Film für mich immer aktuell und verliert nie seine Faszination.

Wie gesagt: ich kenne keinen anderen Film, der mich auf allen Ebenen so berührt wie "Spiel mir das Lied vom Tod".

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